Pierers Populismus
|1 + 1 = doch nur 2. Das ist nämlich die Pierer-Formel nach der sich angeblich die Schweizer Regierung zusammensetzt. Allerdings, die Schweizer und Schweizerinnen können bis 7 zählen. Was hat es also auf sich mit diesen Zahlen?
„Ich bin viel in der Schweiz. Dort müssen die zwei stimmenstärksten Parteien eine Regierung bilden. Da braucht es keinen Van der Bellen“.
Diesen Ausspruch tätigte der Präsident der Industriellenvereinigung (IV) OÖ, Stefan Pierer, anlässlich eines Industrie Summit am Freitag den 11. Oktober 2024 im Linzer Landhaus. Geladen haben der IV-Präsident von OÖ und der IV-Präsident von NÖ Kari Ochsner in Anwesenheit von Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP-OÖ) und Landeshauptfrau Mickl Leitner (ÖVP-NÖ) sowie zahlreichen Vertretern aus der Wirtschaft.
Stefan Pierer ist nicht nur Präsident der IV-OÖ er ist auch Unternehmer (KTM), wenn auch von der eher hemdsärmeligen Sorte. Seine politische Zielrichtung ist stark wirtschaftlich geprägt mit einem großen Aktionsradius nach rechts. Allgemein sieht sich die gesamte IV auf Distanz zu nachhaltigem Naturerhalt und sozialem Wohlstand für alle.
Was meinte Pierer mit seinem Sager?
Funktionäre der FPÖ und ihrer Wähler und Wählerinnen schielen gerne in die Schweiz. Dort sei angeblich die Demokratie besser ausgeprägt und bei Bestellung des Bundesrates (schw. Bundesregierung) brauche es keinen Präsidenten. Die zwei stimmenstärksten Parteien stellen dort eben die Regierung, meinte Stefan Pierer. Das ist nachweislich falsch. Zwar ist auch in der Schweiz 1 + 1 = 2, aber für eine funktionierende Regierung bedarf es eben doch mehrerer politischer Zusammensetzungen. Die Schweizer können nämlich bis 7 zählen.
Der Schweizer Bundesrat setzt sich aus sieben Köpfen zusammen. Und diese werden seit 1959 nach einer „Zauberformel“ bestellt. Diese besagt, dass die drei Parteien mit der größten Stimmenstärke zwei Sitze erhalten und die mit der viertgrößten einen Sitz. Der Verteilerschlüssel lautet also 2.2.2.1
Es stellt sich somit die Frage: „Wie kommt Pierer auf 1+1 = 2“. In der Schweiz zählt man jedenfalls bis sieben: 2+2+2+1 = 7
Die Schweizer Demokratie ist eine Konsensdemokratie. Sie beruht auf der Überzeugung, dass Entscheide (schw. Ausdruck) nur dann Bestand haben, wenn sie nicht nur von der Mehrheit, sondern auch von der Minderheit getragen werden.
Und wie schaut es in Österreich aus? Wir haben eine parlamentarische Demokratie. Hier erteilt in der Regel der Bundespräsident den Regierungsauftrag an die stimmenstärkste Partei. Das muss er aber nicht. Parteien können sich für eine Regierungsbildung untereinander in Koalitionsverhandlung begeben und werden nach Einigung in einem Koalitionsvertrag dann vom Bundespräsidenten angelobt. In Österreich braucht es zur Regierungsbestellung auch nicht zwingend einen Bundespräsidenten.
Demokratie hat Stärken und Schwächen. Die größte Schwäche ist, dass sie sich selbst abwählen kann. Eine FPÖ, auch wenn sie stimmenstärkste Partei am 29. September 2024 geworden ist, ist keine demokratische Partei, sie wurde nur demokratisch gewählt. Die FPÖ ist rechtsextrem, einzelnen Funktionären dieser Partei umweht ein brauner Mief. Die FPÖ pflegt als Vorbilder Autokraten und Diktatoren und bedient sich eines Drehbuches, das schon vor 90 Jahren geschrieben worden ist.
Wie denkt Stefan Pierer
Es stellt sich also die Frage, wo lässt Herr Pierer denken, wenn er erstens einer FPÖ demokratisches Gedankengut zuspricht und eine Schweiz skizziert, die nur bis 2 zählen müsse.
So simpel wie es manche österreichische, vor allem FPÖ-Politiker, darstellen wollen, funktioniert die Schweizer Demokratie nun auch wieder nicht. Und das mit der Schweizer Zauberformel ist auch so eine Sache. Diese Formel ist ziemlich in die Jahre gekommen.
Die spezifische Schweizer Art der Regierungsbildung nennt man Konkordanz. Auch die steckt schon lange in einer Krise. Der Anspruch alle wichtigen politischen Kräfte des Landes einzubinden , wird seit Jahren nicht mehr erfüllt. So haben z.B. die Grünen keinen Sitz im Bundesrat, obwohl sie 17% der Wähler repräsentieren, die Liberalen mit nur 14,3% aber ein Regierungsmandat inne haben. Die Konkordanz bildet die Wählerstimmen einfach nicht mehr ab.
Die Zauberformel, sie ist nicht in der Schweizer Verfassung verankert. Historiker und Politologen denken laut darüber nach, die Formel flexibler zu gestalten und den 7.Sitz im Bundesrat unter den Parteien rotieren zu lassen. Sie könnte aber auch gänzlich abgeschafft werden. Die Opposition, die nicht in der Regierung vertreten ist, kann nämlich verstärkt auf Volksabstimmung setzen und sich auf die Tradition der „Referendumsstürme“ besinnen. Das lähmt Regierung und Parlament und kann sogar verabschiedete Gesetze und Verordnungen obsolet werden lassen.
Der Sukkus aus dieser Geschichte:
Die Piererische 2er-Formel ist populistischer Humbug. Sie gibt es nicht. Die Schweiz zählt bis 7 und stellt über die Schweizer Zauberformel sieben Bundesräte. Diese Schweizer Formel ist nicht in Stein gemeißelt und auch nicht in der Verfassung niedergeschrieben. Sie ist gleichsam ein Dogma zurückreichend bis ins Jahr 1959. Die Zauberformel deckt schon lange nicht mehr den Wählerwillen der Schweizer und Schweizerinnen ab, weshalb sie überarbeitet oder gar abgeschafft werden soll. Österreich hat eine parlamentarische Demokratie. Gewählte Abgeordnete vertreten das Volk.
In der Schweiz liegt eine Konsensdemokratie vor, wo alle Parteien im Sinne der Zauberformel im Parlament vertreten sein sollten. Nur sie tut es nicht. Sind die demokratischen Verhältnisse in der Schweiz wirklich so herrausragend, wenn „Referendumsstürme“ Parlament und Regierung einfach aushebeln können?
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#Pierer Stefan #Zauberformel