Sellner wird remigriert
|„Hallo, wer hat uns den Strom abgedreht“, brüllte Martin Sellner ins Mikrofon. Im Saal wurde es finster. Kommandos werden gegeben, die Polizei stürmt die Veranstaltung und löst diese behördlich auf. Martin Sellner wird abgeführt, vernommen und später ausgeschafft. Das war es mit dem Remigrationsvortrag in der Schweiz. Sellner wird zum Remigranten, zum Typus „Heim ins Reich“ und ab nach Wien.
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Samstag, 16. März 2024, später Nachmittag, es ist noch hell in der Schweiz, Ort Tegerfelden im Kanton Aargau. Etwa 100 gescheitelte Leute tummeln sich im privat geführten „Aargauisch Kantonales Weinbau-Museum“. Sie wurden konspirativ zum Veranstaltungsort geschleust.
Die Räumlichkeiten des Weinbau-Museums können gemietet werden. Rechtsextreme Veranstaltungen wünscht man keine. Der Verein fühlt sich hintergangen und wurde von der Art des Anlasses überrascht. Angemeldet gewesen sei ein „Podiumsgespräch zu Entwicklungshilfe und Migration“. Dass hinter dem harmlos klingenden Übertitel die äußerst rechtsextreme, neonazistisch orientierte „Junge Tat“ und Martin Sellner stecken, habe man nicht gewusst und dass Sellner auftreten werde, schon gar nicht, so die Sprecherin des Weinbau-Museums.
Es ist ja allgemein bekannt, dass Rechtsextreme und Neonazis – also diese „Neuen Rechten“ – gerne harmlos klingende Bezeichnungen für ihre Veranstaltungen verwenden, um dann die Sau rauszulassen. Das war schon beim „Bund freier Jugend“ (BfJ) so im Jahr 2003, bei der Arbeitsgemeinschaft für demokratische Politik (AfP) bis weit nach 2012 und es wird offenbar auch heute noch so gemacht. Martin Sellner war Mitglied des BfJ, eher dieser aufgelöst wurde. „Harmlose Landjugend hält Stammtisch ab“, „Kulturverein lädt zum regen Meinungsaustausch ein“, „Wissenschaftliches Treffen älterer Herrschaften zum Thema ein Leben wie damals“ sind so verdeckte Bezeichnungen neonazistisch orientierter Scheitelträger. Aber wer denkt da gleich an Nazis, wenn man nicht vom Fach ist?
Hätte man mehr gewusst, hätte man das Lokal nicht vermietet, so die Betreiber des Museums. Darauf aufmerksam gemacht worden sei der Verein des Weinbau-Museums von der Polizei, so eine Sprecherin. Der Mietvertrag sei daraufhin sofort gekündigt worden. Aber die Veranstalter reagierten nicht auf die Auflösung, weshalb die Polizei einschreiten musste.
Randale können manchmal schnell unterbunden werden, wenn der Rädelsführer aus der Gruppe der Randalierer entfernt wird. Wenn kein Redner, so auch keine Veranstaltung, dachte sich die Polizei im Kanton Aargau und schneller als erwartet, landete Martin Sellner stiegeabwärts, so ganz ohne Handschellen im davor parkenden Arrestantenwagen. Sellner behauptet etwas anderes.
Die rechtsextreme Meute tobte.
Die rechtsextremen Aktivisten erklärten, dass die Kündigung des Mietvertrages nur eine vorgeschobene Handlung gewesen sei. In Wahrheit habe die Polizei den Verein des Wein-Museum gedrängt, die Veranstaltung zu untersagen, weil aufgrund politischer Vorgaben, es keine derartige Veranstaltung in der Schweiz geben dürfe. Deshalb habe man sich auch nicht den Anordnungen des Vereins gebeugt. Außerdem habe der Verein gewusst, mit wem dieser kommuniziere, man Klarnamen verwendete und dass an dem Abend zu „Migrationsthemen“ gesprochen werden soll. Doch daraus wurde nichts. Der Saal blieb dunkel und das Gebrüll der rechten Zuhörer nach Freiheit ließ die Polizei unbeeindruckt. Vorsorglich war man seitens der Exekutive mit etwas schwerer Bewaffnung angerückt. Aber trotz der Spannung gab es keine wirklichen Auseinandersetzungen.
Wer ist Martin Sellner?
Martin Michael Sellner wurde 1989 in Wien geboren. Als Sohn eines Arztes und einer Englischprofessorin verbrachte er die Kindheit und Jugend in Baden bei Wien, schloss seine Ausbildung mit Matura ab und versuchte philosophische Themen zu studieren. Schon früh schloss sich Martin Sellner rechtsextremen Strömungen an, wie dem „Bund freier Jugend“ um für wenige Jahre tief in den Neonazismus unter Gottfried Küssel einzutauchen. Das war eine Jugendsünde stellt Sellner heute immer wieder öffentlich klar. Später versuchte er es bei der religösen Sektenpartei CPÖ (Christliche Partei Österreich). Diese ist heute in der Versenkung verschwunden.
Als die Welle der Neuen Rechten unter der Bezeichnung „Identitäre Bewegung“ nach Österreich überschwappte, war Martin Sellner vor allem als Aktionist von Anfang an mit dabei. Nach zweitweise internen Auseinandersetzungen innerhalb der Gruppe avancierte der mittlerweile zum Buchschreiber Mutierte auch zum Sprecher der „Identitären Bewegung Österreich“ Die rechtsextreme Aktionsgruppe ist 2023 aufgelöst worden wegen übertriebener Störungen des demokratischen Systems.
Martin Sellner ist Provokateur, Aktionist, Dächerbesteiger, Demonstrant, Selbstinszenierer, vor allem aber Einpeitscher mit bisweilen lautstark propagierten rassistischen, völkischen und antisemitischen Sprüchen. Seine Hetze gegen alles, was nicht der deutsch-ethnischen Rasse entspricht, brachte ihm Aufenthaltsverbote in den USA und Großbritannien ein. Nun auch in der Schweiz und seit heute auch in Deutschland. Die Grenzen weren enger.
Sellner ist mit der US-amerikanischen Vloggerin und Anhängerin der Alt-Right-Bewegung Brittany Pettibone, mit der er einen Sohn hat, verheiratet.
Sellner lebt in Wien in der Nähe vom Christian Broda Platz und ernährt sich und seine Familie vorwiegend aus Spenden und Einnahmen als Buchautor. Seine kruden Themen werden im rechtsextremen Antaios-Verlag von Götz Kubitschek verlegt.
Einer breiteren Öffentlichkeit wurde Sellner anlässlich seiner Rede eines Geheimtreffens in einer Villa nahe Wannsee bekannt, wo er sich in einem Vortrag zur Remigration bekannte. Dieser Begriff wurde im Jahr 2023 zum Unwort des Jahres.
Wer ist die „Junge Tat“?
Die „Junge Tat“ ist eine in der Schweiz angesiedelte neonazistisch orientierte, rechtsextreme Bewegung, die ähnlich der „Identitären Bewegung“ vor allem mit zahlreichen Aktionen gegen die Einwanderung und Flüchtlingspolitik auffiel. Sie ist eine auf hipp gestylte heimatverbundene Gruppierung, die ihren Ursprung aus der schweizerischen waffenaffinen Neonazi-Szene bezieht. „Eisenjugend Schweiz“ und „Nationalistische Jugend Schweiz“ waren ihre Vorläufer. Markenzeichen der „Jungen Tat“ ist die Tyr-Rune, ein Pfeil nach oben. In der NS-Zeit war der Pfeil das Logo einer SS-Freiwilligendivision und das Leistungsabzeichen der Hitlerjugend. Und so denken sie auch, die Betreiber, Verantwortlichen und Sympathisanten von der „Junge Tat“.
Links
Bund freier Jugend
https://de.wikipedia.org/wiki/Bund_freier_Jugend
Götz Kubitschek Antaios-Verlag
https://de.wikipedia.org/wiki/G%C3%B6tz_Kubitschek
Martin Sellner – Schweiz
https://www.nzz.ch/zuerich/rechtsextremist-martin-sellner-ist-trotz-widerstand-in-die-schweiz-eingereist-ld.1822339
Junge Tat
https://www.belltower.news/schweiz-junge-tat-altbekannte-nazis-141633/