Altenfelden: Das geteilte Dorf
|Artikel übernommen von Der Standard vom 17. Dezember 2016
REPORTAGE
ANASTASIA HAMMERSCHMIED
Im Sommer brannte ein Asylheim. Seither ist in dem kleinen Ort im Mühlviertel nichts mehr wie vorher. Die Bewohner haben sich dem rechtsextremen Problem in ihrer Mitte gestellt
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An den 1. Juni 2016 werden sich die Menschen in Altenfelden erinnern. Es ist der Tag, an dem in der oberösterreichischen Gemeinde ein unbewohntes Asylheim bis auf den Grund niederbrannte. Und der Zeitpunkt, an dem die Bewohner Altenfeldens aufgewacht sind und gesagt haben, dass es so nicht weitergehen kann.
Die Sozialistische Jugend Altenfelden, die ich 2007, als ich noch in der oberösterreichischen Gemeinde lebte, mitgegründet hatte, organisierte nach dem Brand eine Solidaritätskundgebung – gemeinsam mit Bürgermeister Klaus Gattringer von der ÖVP. Zur Kundgebung kamen laut Veranstalter eintausend Menschen.
Das hätte ich in Altenfelden, das nur 2.000 Einwohner hat, nicht für möglich gehalten. Vor dem Bau des Asylheims hatte es eine Petition dagegen gegeben und Klaus Gattringer hatte Drohanrufe erhalten. Das Gebäude wurde schnell und entschlossen wieder aufgebaut. Seit September leben 22 Menschen in dem Holzbau, der an der Straße liegt, die zum Marktplatz führt. Freiwillige Helfer aus Altenfelden helfen dabei, das Gebäude zu verschönern, die Räume einzurichten und einen Garten anzulegen.
Auftritt der Glatzen
Altenfelden liegt im Mühlviertel. 20 Kilometer von der deutschen und etwa gleich weit von der tschechischen Grenze entfernt. Der Marktplatz ist das Zentrum des Ortes. Zwischen dem Veldnerhof und dem Gasthaus Zeller, mit dem Pub Sapperlot bin ich aufgewachsen. An manchen Tagen nenne ich Altenfelden Nazidorf, an den meisten Tagen sage ich, Altenfelden sei der beste Ort der Welt. Altenfelden ist schön. So oft ich kann, fahre ich nachhause, um über die Hügellandschaft zu spazieren, die Menschen zu treffen, die ich kenne, seit ich denken kann, und um in den Wirtshäusern mit meiner Familie zu feiern.
Ein Nazidorf? Auch. Weil es seit Jahren eine rechtsextreme Szene gibt, die sich langsam ausbreiten konnte, während der Großteil des Ortes still zusah oder es gar nicht wusste. Es begann, als ich etwa zwölf Jahre alt war. Plötzlich waren sie da, die Glatzen, die 88-Aufnäher und die Hakenkreuze, die an Wände gemalt wurden. Wer das nicht sehen wollte, schaute weg. Was geschah, wurde als Legende erzählt und so von Person zu Person weitergetragen.
Es gab Geschichten von Burschen, die an Hitlers Geburtstagen Partys schmissen. Oder von der Katze einer türkischen Familie, die aufgeschlitzt wurde und mit deren Blut das Haus beschmiert wurde. Wurden diese Geschichten erzählt, sagten die anderen am Tisch, wie furchtbar das sei. Doch das Problem wurde nie öffentlich besprochen. Dass es nicht richtig war, was die rechten Jungs machen, war eine Sache. Sich deswegen aufzuregen eine andere. Wenn ich es machte, erntete ich häufig eine wegwischende Handbewegung – „übertreib nicht“. Dazu wurde mir erklärt, ich würde verharmlosen, was richtige Neonazis machen, wenn ich die rechten Jungs in Altenfelden so bezeichnete.
Niemand sagte etwas
Vor zehn Jahren, an meinem letzten Tag in der Hauptschule, fuhr ich im Bus. Als ein behindertes Mädchen einstieg, stellten alle ihre Rucksäcke auf die freien Plätze neben sich. Reihe für Reihe fragte sie, ob sie hier sitzen könnte. Sie erhielt immer ein „nein“ als Antwort. Das Mädchen setzte sich zu mir. Als wir aussteigen wollten, versperrte uns ein Neonazi aus meiner Parallelklasse mit seinen Freunden den Weg. Sie drehten die Arme des Mädchens nach hinten, als ich helfen wollte auch meine. Wir schrien, ich trat um mich. Niemand sagte etwas.
Ich erinnere mich auch an ein Zeltfest im Ort, bei dem ein Neonazi einen Doppeliter Bier in der Hand, auf einem Tisch stand. Er schrie laut „Sieg“, das Dutzend Jungs um ihn rief „Heil“. Er schrie „Heil“, die anderen „Hitler“. Es waren bestimmt 300 Leute im Zelt. Aber niemand sagte etwas. Niemand scheint sich zu erinnern. Oft bin ich mir nicht sicher, ob es nicht ich bin, deren Erinnerungen falsch sind.
Um das zu prüfen, besuche ich eine Schulfreundin, deren Familie eine der vier bis fünf türkischen Familien in Altenfelden ist. Ihr Haus liegt im Zentrum, in der Nähe des Marktplatzes. Während wir mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern Cay trinken, erzählt die Freundin, wie es mit der toten aufgeschlitzten – wie es die Legende sagt – Katze wirklich war. Sie und ihre Familie hätten geschlafen, als es laut knallte. Jemand hatte vor ihrer Haustür Schweizerkracher explodieren lassen. An die Fenster hatte jemand „Ausländer raus“ und andere Parolen geschmiert, nicht mit Blut. Die Katze wurde irgendwann von einem Auto überfahren.
Wenig unterstützt
Die Familie meiner Freundin wurde häufig von Rechtsextremen beschimpft. Wenn sie vor dem Haus am Bordstein spielten, fuhren Autos auf sie zu, als würden sie die Kinder überfahren wollen, bevor sie abdrehten.
Von der restlichen Gemeinschaft fühlte sich die Familie zu wenig unterstützt. Was nicht heißt, dass alle Rassisten sind. Auch ich war, nachdem der Kontakt mit meiner Freundin nachließ, nich mehr dort. Ich hörte die Geschichten, aber ging nie hin, um zu fragen wie es ihnen geht. Es kam mir komisch vor und unpassend. Wenn jeder jeden kennt, ist Zivilcourage nicht unbedingt leichter.
Der Geschwistern meiner Freundin boten meine Eltern Nachhilfe an. Wenn sie Probleme hatten, riefen sie die Frau an, die damals auch den Jugendraum betreute, in dem sich die rechtsextremen Jugendlichen trafen. Bei ihr lade ich mich zum Tee ein. Was weiß sie von damals?
Keine Ausgrenzung
Von der Clique im Jugendraum erzählt sie, manche von ihnen hätten zu Hause Probleme gehabt, andere hätten sich abgrenzen wollen, einige die rassistischen Ansichten der Eltern übernommen. Sie habe überlegt, die rechten Jungs auszuschließen. Aber „diejenigen auszugrenzen, die selbst ausgrenzen“, das sei ihr falsch erschienen. Stattdessen lud sie die Polizei ein, um die Jugendlichen über das Verbotsgesetz aufzuklären. Und es gab das Filmforum: Einmal im Monat wurden im Jugendraum Filme gezeigt und über diese anschließend diskutiert. „Dass Altenfelden als rechte Gemeinde gilt, liegt auch an uns, die nicht dagegen laut geworden sind,“ sagt die Jugendbetreuerin.
2007 gründeten eine Freundin und ich die Sozialistische Jugend Altenfelden, als das bei einer Landesversammlung der Organisation erwähnt wurde, erhielten wir Sonderapplaus, weil es in der gesamten Region noch keine Ortsgruppe gegeben hatte. Wir waren nie mehr als sechs Mitglieder, unsere Workshops zu Themen wie „Alltagsrassismus“ oder „Frauen und Armut“ waren schlecht besucht. Bald gaben wir auf. Meine Cousine führt das Projekt weiter.
Die Ermittlungen zu dem im Juni niedergebrannten Asylheim wurden abgebrochen. Es konnte kein Täter gefunden werden. Die Bewohner des Asylheims werden von 70 ehrenamtliche Helfern unterstützt und von zwölf Deutschlehrern unterrichtet. Am 3. Dezember war Weihnachtsmarkt in Altenfelden. Die Sozialistische Jugend organisierte gemeinsam mit den Bewohnern des Asylheims einen Punschstand. Gleichzeitig herrscht am Stammtisch noch immer das Gerücht: „Die Flüchtlinge haben sich ihr Heim selbst angezündet, weil sie nicht nach Altenfelden wollten.“
Risse in der Gesellschaft
Altenfelden ist nach dem Brand und im Jahr der Bundespräsidentschaftswahl ein gespaltener Ort. Bei der Wahl am 4. Dezember erreichte Alexander van der Bellen 50,5 Prozent der Stimmen, Norbert Hofer 49,5 Prozent. Im Streit um das Asylheim wurden die Gegensätze deutlich. Diese Gegensätze gibt es mittlerweile nicht mehr nur zwischen den Jugendlichen.
Die Mitte hat sich geteilt. Diese Mitte konnte früher die ÖVP unter sich vereinen. Seit 1945 waren alle Bürgermeister Altenfeldens ÖVP-Mitglieder. Christlich Soziale, Neoliberale und fremdenfeindliche Rechte wählten dieselbe Partei. Risse in der Gesellschaft wurden so jahrzehntelang nicht sichtbar.
Die Rechtsextremen waren der rechte Rand, der weitgehend ignoriert wurde. Viele wollten das Problem nicht sehen, andere erfuhren nicht einmal davon. Klaus Gattringer, der Bürgermeister, dem ich kürzlich von meinen Erlebnissen als Jugendliche erzählte, sagte, er habe von solchen Übergriffen, von der Szene, nichts gewusst. Die Themen Asyl und Fremdenfeindlichkeit beschäftigten ihn erst, seit das AsylbewerberInnenheim geplant wurde. Auch er hilft dort freiwillig mit und sagt: „Mit der Wahrheit müssen wir leben.“
Extrem wurde salonfähig
Es gibt neue Neonazis. Eine Tankstelle am Ortsrand soll der neue Treffpunkt der Szene sein. Ein vierzehnjähriger Junge hat die Bewohner des Asylheims damit eingeschüchtert, dass sie längst tot wären, würde der Adolf Hitler noch leben. Nach einem Zeltfest in Altenfelden ging ein betrunkener Mann mit einem brennenden Feuerzeug um das Asylheim herum und bedrohte die Bewohner. Er wurde verwarnt.
Vor ein paar Jahren schien es so, als würde sich die rechte Szene in Altenfelden auflösen. Ehemalige Neonazis kamen zu mir und erzählten von Horizonterweiterung und Reisen auf andere Kontinente. Die meisten von ihnen sah ich bei einem Infoabend, der im Februar 2016 über den Bau des Asylheims gehalten wurde. Sie applaudierten, als eine Frau Ausgangssperren für männliche Flüchtlinge vorschlug. Vier Monate später brannte das Gebäude.
In Altenfelden hat sich etwas verändert. Die Masse ist nicht mehr stumm. Die Neonazis von früher treten heute nicht mehr mit Glatze und Springerstiefeln auf. Aber ihre Gesinnung ist weitgehend gleich. Doch heute sind sie kein Extrem. Es wurde salonfähig eine rechtsextreme Partei zu wählen.
Gleichzeitig werden diejenigen, die Fremdenfeindlichkeit früher vom Sofa aus verurteilt haben, aktiv. In Altenfelden gehen die Menschen heute offen auf die Asylwerber zu. Sie engagieren sich im Asylheim und treten offen gegen Rassismus auf. Im letzten Jahr haben in Altenfelden fast alle Position bezogen.
Altenfelden ist solidarisch, rassistisch, links und rechts. Der Freundeskreis meiner Mutter hat früher bei Sommerfesten die Internationale gesungen. Jetzt helfen sie im Asylheim. Im Pfarrhaus wurde ein Fest der religiösen Begegnung gefeiert. Und im Tankstellenshop haben viele Besucher eine Glatze. (Anastasia Hammerschmied, 17.12.2016) http:// derstandard.at/2000049448880/Altenfelden-Das-geteilte-Dorf
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