„Kellernazi“, „Trottel“, „Idiot“
|Dürfen Sie einen Politiker „Arsch“ nennen?
Ja, Sie dürfen! Aber nur dann, wenn bestimmte Voraussetzungen vorliegen und gewisse Umstände gegeben sind.
Grundsätzlich ist zu unterscheiden zwischen Politikern, die innerhalb des Verfassungsbogens stehen und kultiviertes Auftreten an den Tag legen und Politikern, die vielfach Kultur vermissen lassen, rechtspopulistisch agieren oder gar mit Hass und Hetze recht extreme Auftritte in der Öffentlichkeit absolvieren.
Politiker müssen nach der jüngeren Judikatur grobe Äußerungen akzeptieren, vor allem aber in politischen Zusammenhängen sogar sehr grobe Angriffe hinnehmen. (1) So ist die Bezeichnung „Kellernazi“ nach dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) noch ein zulässiges Werturteil (2). Auch bei der Verwendung des Wortes „Trottel“ ist der EGMR davon ausgegangen, dass diese Formulierung im gegebenen Zusammenhang von Art 10 EMRK gedeckt ist. (3)
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In allen Fällen derartiger Äußerungen von Schimpfworten ist zu beachten, in welchem Zusammenhang diese Unworte verwendet werden. Grundsätzlich kommt es auf den Bedeutungsinhalt des Geschriebenen oder Gesagten an und auf Öffentlichkeit. Nicht das isolierte Wort ist zu betrachten in der Analyse des Bedeutungsinhaltes, sondern der gesamte Kontext, Chatverlauf oder Thread. Der Bedeutungsinhalt eines Artikels ist somit im gesamten Zusammenhang der Veröffentlichung zu beurteilen (4). Maßgeblich dabei ist der Wortsinn der inkriminierten Äußerung, nicht aber der Wortlaut (5). Die Ermittlung des Bedeutungsinhaltes einer medial verbreiteten Äußerung ist auf das Verständnis der Maßfigur eines Medienkonsumenten abzustellen an den sich die Äußerung nach Aufmachung, Schreibweise und Inhalt richtet (6). Die Maßfigur ist der Durchschnittsleser jenes Mediums, in dem die inkriminierte Äußerung getätigt wurde. Daraus ergibt sich eine differierende Beurteilung, ob es sich nun um Fans einer recht extremen Partei im Bierzelt handelt, oder um Wissenschaftler, Akademiker, Künstler, kultivierte und gebildete Leser.
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Wie bereits erwähnt, muss ein Politiker grobe Äußerungen akzeptieren. Im politischen Meinungskampf sind Werturteile nochmals ganz besonders kritisch zu hinterfragen, wie massiv in die Ehre eines Politikers eingegriffen wird.(7) Der Politiker setzt sich wissentlich einer genaueren Beurteilung jedes seiner Worte und jede seiner Taten seitens der gesamten Öffentlichkeit aus. Daher muss ein Politiker ein größeres Maß an Toleranz zeigen. (8)
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Die österreichische Gesetzeslage stellt ehrenbeleidigende Äußerungen unter Strafe. Ehre zählt zu den absolut geschützten Persönlichkeitsrechten. Für eine Beurteilung ob nun eine Äußerung bzw. Verbreitung ehrenkränkend ist, kommt es in erster Linie darauf an, wie der unbefangene Durchschnittsempfänger zur Umgebung des Beleidigten derartige Äußerungen verstehen muss. Der Gesamteindruck ist wesentlich. Die Ehre wird grundsätzlich dann verletzt, wenn eine Person einem Dritten gegenüber eine verächtliche Eigenschaft oder Gesinnung zeiht (Charaktervorwurf) oder eines unehrenhaften oder gegen die guten Sitten verstoßendes Verhalten beschuldigt, dass geeignet ist, diese Person in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder herabzusetzen (Verhaltensvorwurf).
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Der Schutz der Ehre steht aber im Spannungsverhältnis zum Grundrecht der freien Meinungsäußerung. Bei der Beurteilung nach § 1330 ABGB ist somit eine Interessensabwägung vorzunehmen, wie weit wird das Recht auf freie Meinungsäußerung des Beleidigers beeinträchtigt oder das Recht auf Respekt des Beleidigten verletzt. Eine respektlose Äußerung kann nämlich durchaus von der freien Meinungsäußerung gem. Art 10 EMRK gedeckt sein. Die freie Meinungsäußerung ist ein Grundrecht.
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Eingriffe in dieses Grundrecht sind nur dann zulässig, wenn sie:
1. gesetzlich vorgesehen sind
2. ein legitimes Ziel verfolgen und dazu auch geeignet sind
3. in einer demokratischen Gesellschaft zur Verfolgung dieses Zieles notwendig sind.
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Der EGMR hält in seiner ständigen Rechtsprechung fest, dass die Freiheit der Meinungsäusserung eine der wesentlichen Grundlagen einer demokratischen Gesellschaft bildet. Daher muss jegliche Einschränkung der Freiheit der Meinungsäußerung überzeugend dargelegt werden. Daraus folgt, dass eine Kritik auch um so schärfer sein darf, je mehr wahres oder zugestandenes Tatsachensubstrat mittransportiert wird, sodass der Medienkonsument auch die Möglichkeit hat, sich zu der Wertung eine eigene Meinung zu bilden. Klar definiert sind abfällige Werturteile, die zum Tatsachensubstrat wesentlich überzogen sind, jedes Maß an Sachlichkeit vermissen lassen oder schlichtweg nicht wahr sind. (z.B. Vorwurf „Säufer“, „Schnapsnase“, der Beleidigte aber keinen Alkohol trinkt).
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Letztlich besteht auch eine Wechselwirkung zwischen zulässiger Kritik und dem Anlass. Dieser Toleranzlevel gilt ganz besonders im politischen Bereich. Das heißt, dass eine Reaktion auf einen Anlass um so schärfer sein darf, je ungewöhnlicher der Anlass der Kritik ist (9). So müssen Politiker wesentlich mehr Kritik erdulden, als Nichtpolitiker. Der Toleranzlevel erhöht sich, wenn Politiker in ihrem Ton nicht besonders wählerisch sind und ihrerseits beleidigende und angriffige Worte verwenden (10). Nach ständiger Rechtssprechung ist daher der Persönlichkeitsschutz eines Politikers in einer demokratischen Gesellschaft eingeschränkter, als jener Personen, die nicht aktiv am politischen Diskurs teilnehmen (11). Dies wird damit begründet, dass Politiker aufgrund ihrer öffentlichen Funktion in besonderem Maß die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und der Medien auf sich ziehen und es für eine demokratische Gesellschaft von erheblicher Bedeutung ist, an ihnen Formen von Kritik üben zu dürfen, das auch in schärfstem Ton.
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So z.B. ist der Ausdruck „Arsch“ ein – wenn auch gerade noch – zulässiges Werturteil, gegenüber einem Politiker, der hetzend gegen Flüchtlinge vorgeht. „Arsch“ ist keine Tatsachenmitteilung. „Der Kraftausdruck „Arsch“ ist deshalb gerechtfertigt, weil der recht extreme Politiker öffentlich Auftritte auch in sozialen Medien nutzt und nicht davor zurückschreckt, unwahre Tatsachenmitteilungen zu verbreiten, die wiederum zu Hasspostings der User führen (12). Und er ist gerechtfertigt, weil der recht extreme Politiker gerichtsbekanntermaßen auch nicht vor der Verbreitung von Unwahrheiten zur Emotionalisierung seiner potentiellen Wählerschaft zurückschreckt und anstelle von Sachargumenten versucht Emotion hervorzurufen. So wurde z.B. von einer recht extremen Partei mit Plakaten „daham statt Islam“ einem Teil der österreichischen Bevölkerung abhängig von ihrer Religion auf emotionaler Ebene Heimatrecht schlichtweg streitig gemacht.
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Das Wort „Arsch“ wurde gegen einen recht extrem agierenden Politiker in Zusammenhang mit einer Demonstration gegen ein Flüchtlingsheim gebraucht. Der Politiker und seine Mitredner agierten bei dieser Demonstration wie gewohnt mit scharfen und die emotionale Ebene ansprechenden Worten, die nunmal eindeutig jenes Tatsachensubstrat darstellen, für das der Politiker beim Durchschnittsmenschen bekannt ist. Und genau wegen dieses Tatsachensubstrats erweist sich die inkriminierte Wertung „Arsch“ als gerade noch zulässig im Sinne des Art 10 EMRK, zumal es dem Beleidiger und späteren Beklagten im Kern um eine Kritik an der Flüchtlingspolitik ging und dem Umgangsstil des Klägers mit Menschen auf der Flucht. Die klägerische Politik in diesem Zusammenhang als die eines „Arsches“ zu bezeichnen, ist zwar überzogen, im Gesamtzusammenhang mit den oben dargestellten Sachverhaltselementen aber im Lichte des Art 10 EMRK als gerade noch tolerabel einzustufen. Das Klagsbegehren des Politikers und Klägers war daher abzuweisen (13).
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Sehr verehrte Leser,
Sie dürfen somit einen Hass und Hetze verbreitenden Politiker, der noch dazu gegen Minderheiten und Schutzsuchende agitiert, ruhigen Gewissens einen „Arsch“ nennen, weil das Tatsachensubstrat nunmal eindeutig darstellt, dass dieser scharf und emotional, auch gespickt mit Unwahrheiten, agitiert. Wenn aber kein Tatsachensubstrat vorhanden ist, dann ist „Arsch“ ein Werturteil. Aber nennen sie einen Politiker dennoch nicht „Arsch„, Sie sind doch kultiviert und haben Empathie.
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01 Berka in Berka/Höhne/Noll/Polley, Mediengesetz Praxiskommentar, § 6 Rz.17
02 in ÖJZ 2004, 512 – Scharsach und News
03 EGMR in MR 1997, 196 – Oberschlick II
04 OGH 11 Os 124/07f=MR 2008, 140 [Windhager und Zöchbauer]; 11 Os 149/08g=EvBl 2009/36; 15 Os 172/08w=JBl 2010, 534
05 Rami, WK MedienG (2011) Präambel. Rz 1e mwN
06 Rami WK MedienG (2011) Präambel, Rz 1c mwN
07 Reischauer in Rummel, Kommentar zum ABGB, 2. Band /Teil 2b, § 1330 Rz 42
08 OGH in MR 2001, 26; SZ 74/117 ; EGMR in MR 1986, H 4, 13
09 OLG Wien, 17 Bs 65/11z, mieser Typ und Unmensch
10 Grabenwarter EMRK § 23 Rn 28
11 u.a. 6 Ob 83/04f
12 HG Wien, 11 CG 84/15 p, „wo die Genossen überall die Finger drin haben“
13 HG Wien, 11 CG 32/16 t „Arsch“