„Neue Rechte“
|Die „Neue Rechte“ existiert nicht, aber jeder spricht von ihr. Existiert sie also doch?
Die „Neue Rechte“ ist ein Konstrukt. Sie ist der Versuch eines Erklärungsmodells. „Neue Rechte“ bedingt „Alte Rechte“. Das Konzept „Alte Rechte“ endete 1945 mit der Befreiung halb Europas von der Naziherrschaft. Die „Alte Rechte“ würde sagen sie endete 1945 wegen der Besetzung Deutschlands. Die „Neue Rechte“ spricht von Fremdherrschaft, die es zu überwinden gelte und bezieht sich auf die französische Besetzung Deutschlands unter Napoleon. Die „Neue Rechte“ hörte irgendwann auf zu existieren. Das war so Mitte der siebziger Jahre. Und dann kam der Historikerstreit, in dem die Verbrechen der Sowjets den Holocaust bedingt haben sollen. Revisionismus und Verharmlosung warfen sich Wissenschaftler darauf gegenseitig vor. Der Streit währte monatelang und wütete heftig unter den Akademikern. Auch das Ausland stritt mit.
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Und nun ist sie plötzlich wieder da, die „Neue Rechte“. Das bewirkte dieser Streit. Eigentlich ist sie noch neuer als die „Neue Rechte“, sie ist also die „Neuere Rechte“ oder die „Neue neue Rechte“, die 1990 wieder hervorkroch als Konstrukt, obwohl die rechtsextreme und neonazistische Rechte nie aufhörte zu existieren.
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Die „Neue neue Rechte“, also die „Neue Rechte“ ab 1990 ist ein Marketingprodukt. Sie ist poppiger, fetziger, lebensfroher, freundlicher, aktionistischer rockiger und Hardbass-wummernder. Alles abgekupfert vom linken Spektrum. Auch die Sprache wurde mit Metaphern versehen, die freundlicher lieblicher, klingen sollen. Rassismus war gestern, Ethnopluralismus ist heute, bestenfalls ein Europa der Vaterländer. Heißt auch nichts anderes als: Bleib zu Hause, wenn du kein Deutscher bist.
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Die „Neue Rechte“ redet links und denkt rechts. Sie will so die Gesellschaft nach rechts verschieben, aber so unauffällig wie möglich. Gelingt noch nicht, zumindest noch nicht ganz. Obwohl, der Rechtsruck ist schon stark spürbar, sie rückt immer weiter in die Mitte. Demokratie wird zusehends verdrängt.
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Die „Neue Rechte“, also das Konstrukt vor 1990, begründet ihre Existenz von der 68er-Bewegung. Vor allem einer international politisch links gerichteten Studenten- und Bürgerbewegung, die sich gegen starre Strukturen, rigide Sexualmoral und Nichtaufarbeitung des Nationalsozialismus richtete. Vieles der 68er-Bewegung wurde später in unsere Gesellschaft aufgenommen. Sie brachte aber auch die RAF mit Anschlägen und Terrorismus. Die „Neue Rechte“ (vor 1990) wollte wieder die alte Ordnung herstellen, eine Ordnung ohne Demokratie, Liberalismus und Marxismus. Das will die Neue Rechte nach 1990 auch. Sie nennt es Reconquista und tanzt den Hardbass-Tanz, jenen Tanz den die Identitären tanzten, anlässlich ihres ersten öffentlichen Auftrittes in Wien um den „Tanz der Toleranz“-Workshop der Caritas zu stören.
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Die „Neue Rechte“ spricht nicht mehr Klartext, sie verbirgt ihre Absichten, dockt an den gesellschaftlichen Diskurs an, orientiert sich am Geschmack des Publikums und beeinflusst ihn meinungsbildend, natürlich nach rechts. Man nennt das Mimikry. Sie arbeit mit Codes und Chiffren und betreibt semantisches Verwirrspiel. Sie meint Ethnokratie redet aber Demokratie. Sie fordert direkte Demokratie und will identitäre Demokratie. Sie brüllt: „Das Recht geht vom Volk“ aus und meint doch nur den gesunden Hausverstand, den sie zuvor beeinflusst hat.
Gleichberechtigung ist nur gegeben im Sinne von natürlichen Fähigkeiten, Frau heißt Mutter und Heimat das ist Deutsch. Sie lädt sich gerne Gäste ein, die salonfähig sind. Das färbt ab. Damit erreicht die „Neue Rechte“ eine breitere und auch diskursfähigere Öffentlichkeit. Sie erodiert den inneren Bereich des Verfassungsbogens, drücken ihn nach außen weg in den illegitimen Bereich. Häufige Wortwiederholungen sprengen den Rahmen des Sagbaren und werden toleranzfähig. Überfremdung ist wieder in aller Ohren, ein nationalsozialistischer Begriff. Zweifel werden entlastet mit Entlastungszeugen, die scheinbar über jeden Zweifel erhaben sind.
Die „Neue Rechte“ relativiert die Verbrechen des Nationalsozialismus mit Gedenkkultur und der Last der Vergangenheitsbewältigung, die von den Siegermächten oktroyiert werden. Die Befreiung vor der NS-Herrschaft wird zum Gedenktag aller Toten und Vertriebenen.
Es gibt kein links und auch kein rechts. Es gilt die Mitte darzustellen, den dritten Weg neben zweien.
Die „Neue Rechte“ delegitimieren gezielt Kritiker, macht sie lächerlich, würdigt demokratische Institutionen und deren Symbole herab. Mit Retorsion bemächtigen sie sich Positionen machtloser Minderheiten. Wer für Black-Community ist, kann nicht gegen Weiße sein. Der Feminismus ist der eigentliche Sexismus, um Männer zu verfolgen. Die Verfolgten sind die „neuen Juden“, womit sich die „Neuen Rechte“ selbst bemitleidet.
„Seriöse Botschaften“ werden über „seriöse Zeitungen“ verbreitet. Eigene Fernsehkanäle werden betrieben, ins rechte Licht gesetzt und identitäre Video-Clips auf soziale Medien gestellt. Scheinbare wirtschaftsliberale Veranstaltungen werden abgehalten um dennoch das völkische in der Wirtschaft herauszukehren. Alles für ein „Deutsches Reich“. Das System nach 1945 gehört bekämpft und abgeschafft, verkündete vor kurzem der stv. Landeshauptmann von OÖ Manfred Haimbuchner von der FPÖ. Wenig überraschend, aber doch extrem verstörend.
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Die „Neue Rechte“ ist folglich ein Zusammenschluss eines wertekonservativen Bürgertums gepaart mit modernem Rechtsextremismus. Sie ist eine Organisationsform eines Radikalisierungsprozesses des konservativen Lagers vereinigt mit einem Modernisierungsprozess des rechtsextremen Lagers. Sie ist gegen Egalität und meidet die Begriff rechts – links, konservativ – revolutionär, nationalistisch – sozialistisch, kollektivistisch – individualistisch. Aber eigentlich existiert sie nicht die „Neue Rechte“. Sie ist nur ein Erklärungskonstrukt.
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Wer sich in Erklärungen wissenschaftlich vertiefen will, dem sei das Buch „Die Identitären“ von Bruns-Glösel-Strobl Verlag Unrast empfohlen mit weiterführenden Empfehlungen.
Der Aufsatz ist ein Gastkommentar von Uwe Sailer zu Vortrag und Diskussion „Die Neue Rechte“ Wer sie ist. Woher sie kommt. Was sie will.“ in Salzburg am 16. Juni 2016 18:00 Uhr academy Cafe-Bar Franz-Josef-Straße 4
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