Gastkommentar Natascha Strobl
|Autorinnen-Info: Natascha Strobl ist Politikwissenschaftlerin mit Schwerpunkt Rechtsextremismusforschung und Mitautorin des Buches „Die Identitären. Handbuch zur Jugendbewegung der Neuen Rechten in Europa“ (Unrast 2014). Sie schreibt über Rechtsextremismus auf http://www.schmetterlingssammlung.net und engagiert sich bei Offensive gegen rechts.
Über das Fischen mit grobmaschigen Netzen
Der aktuelle Verfassungsschutzbericht erschien vor wenigen Tagen. Er deckt das Jahr 2013 ab, die vielen aktuellen Ereignisse wie der WKR-Ball 2014 mit dem sehr bedenklichen Polizeieinsatz, die Fälle Josef, Martin und Hüseyin, der Marsch der Identitären sowie die internationale klerikalfaschistische Vernetzung bei der Gegendemonstration gegen den Christopher Street Day sind nicht erfasst.
Die Hälfte dieser Ereignisse wird auch nicht, schon gar nicht mit Namen versehen, drinnen stehen. Denn eines ist gewiss, wenn es um Verfassungsschutzberichte geht: Rechtsextremismus wird ungenau erfasst, banalisiert und abgetan.
So wird gleich am Anfang des Berichts großmütig erklärt, dass Rechtsextremismus keinerlei Gefahr darstelle und im Vergleich zu anderen Ländern auf niedrigem Niveau sei. Mit welchen Ländern hier verglichen wird, bleibt unklar. Vielleicht mit der Weimarer Republik. Vorangeschickt muss werden, dass der Verfassungsschutz auf der Extremismustheorie aufbaut, also von einer verfassungsfreundlichen, normativ guten und erstrebenswerten Mitte ausgeht, von der sich zwei, normativ gleich schlechte Ränder abheben: Der Links- und der Rechtsextremismus.
Die Grenzen der Extremismustheorie
Interessanterweise wird relativ prominent ein Phänomen aufgenommen, was genau diese, recht einfach gestrickte, Einteilung aufbricht: Die Neue Rechte und die Identitären. Wenngleich Letztere nicht namentlich genannt, sondern akrobatisch umschrieben werden, so wird ihnen viel Platz eingeräumt. Aber genau bei der Neuen Rechten zeigt sich, dass Rechtsextremismus kein Phänomen eines imaginären Randes ist. Hier reden wir von Personen, die zu einer (zukünftigen) Elite zählen: Rechtsanwält_innen, Publizist_innen, sogar ehemalige Chefredakteure namhafter Zeitungen usw. Der Ort, an dem rechtsextreme Diskurse stattfinden und befeuert werden, befindet sich also tief drinnen in dieser „Mitte“. Das zeigen auch Leute wie Sarrazin, Herrmann und Pirinçci. Das sind nicht irgendwelche „Modernisierungsverlierer_innen“, wie es so schön heißt. Das sind Leute in einer extrem privilegierten Position, die mit all den vielfältigen Ressourcen nach unten treten, die ihnen die Gesellschaft zur Verfügung stellt. Dazu passen auch die Gabaliers dieser Welt. Denn was die Neue Rechte will, ist nicht Parteienpolitik sondern Diskursverschiebung nach rechts. Neben den organisierten Kadern, die sich um Publikationsprojekte wie die Blaue Narzisse, eigentümlich.frei oder die Sezession gruppieren, gibt es den aktionistischen Arm wie die Identitären. Die Wirkung geht aber darüber hinaus mit mehr oder minder losen Anbindungen an Parteien wie die FPÖ (die neuerdings sogar Sujets der Identitären übernimmt), die AfD und die NPD. Und dann gibt es die ganz großen Multiplikator_innen, die bewusst oder unbewusst die rechtsextremen Narrative und Botschaften weitertragen. Ob gewollt oder ungewollt, spielt dabei gar keine Rolle mehr. In den meisten Fällen, wie bei Sarrazin und Pirinçci, ist das gewollt, das zeigt auch deren Teilnahme an Blogs oder Konferenzen aus genau diesem Lager. Diese komplexe Realität der Neuen Rechten ist vom Verfassungsschutz nicht erfassbar, weil sie diametral der Extremismustheorie widerspricht. Wenn plötzlich bis in sehr etablierte Parteien hinein rechtsextreme Diskurse weiter getragen werden, dann steht der Verfassungsschutz vor einem großen Problem, denn dann müsste er genau das in einen Bericht hineinschreiben.
Als Zwischenfazit kann also festgehalten werden, dass die sehr grobmotorischen Analyseinstrumente des Verfassungsschutzes nur einen sehr kleinen Teil des Rechtsextremismus überhaupt erfassen können. Und selbst bei diesem Teil wird nur sehr schaumgebremst berichtet, so fand sich über das Objekt 21 kein Wort und auch die Burschenschaften kamen jahrelang schlichtweg nicht vor. Die erfreuliche Änderung in diesem Jahr ist, dass von ihnen zumindest am Rande (im Zusammenhang mit den Identitären) die Rede ist.
Statistiken wenig aussagekräftig
Die säuberlich aufgelisteten Statistiken werden zwar mit dem Warnhinweis, dass sie nicht wirklich die Realität abbilden, versehen, aber die ganze Absurdität offenbart sich erst im Detail. So wird angegeben, dass es 0 (in Worten: null) Verletzte durch rassistische Straftaten gab. Durch antisemitische Straftaten gab es laut Statistik ganze zwei Verletzte. Es bedarf viel Naivität, diese Zahlen wirklich als realistisch einzuschätzen. Auch sonst sind die Statistiken über Straftaten sehr wenig aussagekräftig, da die Einteilung unklar bleibt und die Dunkelziffer beträchtlich sein dürfte.
Linke als Feindbilder
Während neben den Identitären immerhin noch alpen-donau.info und die Fußballhooligans, die eine Gewerkschaftsversammlung im Ernst-Kirchweger-Haus, überfallen haben, vorkommen, bleibt es sonst sehr mau mit Namen bzw. Andeutungen von rechtsextremen Parteien, Personen, Zeitschriften und Organisationen. Immerhin wird Linken noch bescheinigt, sie hätten aktiv zur Verhinderung von rechtsextremen Aufmärschen beigetragen. Sonst bleibt das bekannte Bild in der Abteilung „Linksextremismus“: Linke sind gewaltbereit. Die wichtigen Themen der Linken, wie „gegen rechts“, Kapitalismuskritik und Kritik am österreichischen Asylwesen werden fein säuberlich aufgelistet. Damit sollen diese Thematiken an sich schon anrüchig werden. Zentral sind natürlich die Proteste gegen den WKR-Ball, der wieder einmal nur bei „Linksextremismus“ aber nicht bei Rechtsextremismus auftaucht, obwohl sich namhafte Rechtsextreme dort vernetzen. Der Vernetzungscharakter wird hingegen bei den Linken betont. Hier wird das Bild weitergezeichnet, was sich spätestens seit den diesjährigen Protesten gegen den Ball etabliert hat: Gewalttätige „Linksextreme“ aus ganz Europa kommen zum Randalieren nach Wien. Damit lassen sich dann auch gut Beschränkungen der Bewegungsfreiheit, riesige Sperrzonen sowie Zensur der Presse rechtfertigen. Interessant an den, ansonsten auch wenig aussagekräftigen, Statistiken ist, dass die Anzeigen nach den Paragraphen „Landfriedensbruch“ und „Sprengung einer Versammlung“ deutlich in die Höhe geschnellt sind. Das sind jene Gummiparagraphen, nach denen jetzt massiv gegen Antifaschist_innen vor gegangen wird.
Abschließend lässt sich sagen, dass sich eine leichte Professionalisierung in der Analyse von Rechtsextremismus beim Verfassungsschutz durchgesetzt hat. Trotzdem scheint es, als würden sie mit viel zu grobmaschigen Netzen fischen, so dass ihnen relevante Zusammenhänge schlichtweg entgehen bzw. das politisch so gewünscht ist. Bei „Linksextremismus“ ist hingegen jede Regung verdächtig, die sich nicht mit den aktuellen Verhältnissen zufrieden gibt. Das ist kein Zufall, sondern Teil der Repression.