#wienstetaufeh
|Gastbeitrag von Susanne Wiegele
11. Jänner 2019
Eine „Guten Morgen Wien“ Geschichte
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#wienstetaufeh
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7: 00 Uhr – Wien steht auf #wienstetaufeh
Guten Morgen Sebastian. Meine Schüler_innen sind schon in die Schule unterwegs. Ich vermute, Du sitzt noch nicht einmal beim Kaffee, aber die Angestellten Deines Haushalts sorgen im Hintergrund bereits dafür, dass Du einen vor Dir stehen haben wirst, wenn Du so weit bist. Ich erzähl Dir eine „Guten Morgen Wien“ Geschichte, okay?
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Als ich vor einigen Jahren in der Volksschule unterrichtete, war da ein tschetschenischer Bub, der M. Der war immer sehr still und fast duckmäuserisch, wenn man ihn ansprach. Endlich kam ich drauf, warum. Man hatte seinen Vater vor seinen Augen erschossen – dann gelang seiner Mama mit ihren beiden Kindern die Flucht. Meine Kollegin hasste M., sie war überzeugt, dass “Solche” hier nichts verloren haben. M. war aber ein sehr guter Schüler – und sie gab ihm den Wisch für die Gymnasialreife einfach nicht. Ich fragte sie in der Konferenz, was der Grund dafür sei. Ja man müsse schon zu ihr kommen, wenn man eine Freigabe fürs Gymnasium wolle, meinte sie, aber die Mutter von M käme ja nie in die Schule. (Gegen ihren Willen setzte ich in der Konferenz die Ausstellung der Empfehlung durch und M. ging später ins Gym. Die Direktorin legte mir danach kommentarlos ein Versetzungsgesuch in mein Fach. Ich verstand.)
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Warum ich Dir von M erzähle, Sebastian? Ganz einfach – weil die Mutter von M jeden Tag um 4. 30 aufstand, für die beiden Kinder alles herrichtete, vorkochte etc.
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und dann ging sie Büros putzen von 6:00 – 14:00 Uhr.
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Ja, Sebastian, das sind die Menschen, die Du nie siehst, die arbeiten im Hintergrund für Deine Bequemlichkeit. Das ist übrigens ein absoluter Scheißjob im Akkord (lass Dir das einmal erklären, was das bedeutet) mit einer Scheißbezahlung – und die Mama von M war vermutlich Aufstockerin, bezog also ein bisschen Mindestsicherung – und zweifellos nicht, weil sie zu faul zum Aufstehen war.
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Sondern weil es (unter anderem auf Druck der Arbeitgeberverbände, die ja Deiner Partei angehören) erlaubt ist, einen Bettel für diese Arbeit zu bezahlen, in der man keinesfalls fehlen darf, besser nie krank werden sollte und schon gar nicht einen Termin in der Schule wahrnehmen kann.
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Ich hab noch viele Geschichten von solchen Menschen, Sebastian. Ich erzähl sie Dir gern. Aber steh erst mal auf, okay?
Susanne Wiegele lebt in Wien, ist freie Autorin und Sonderschullehrerin im Dienste der Stadt Wien. Sie betreibt unter anderen auch den Blog http://susannewiegelewriting.blogspot.com/
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