Gastbeitrag von Anahita Tasharofi

Geschichten aus der u3

Ich habe lang überlegt ob ich dieses Erlebnis öffentlich teilen soll.
Ich denke, ich tue es, da ein Terrorexperte gerade bei der ZIB24 auch vor Terroranschlägen in Wien warnte.

Also
Ich sitze in der u3
Mir gegenüber ein Mann der ein Buch liest.
Drauf sieht man eine arabische Schrift (nein kein Koran).
Eine Dame neben ihm wird total nervös.
Sie schaut ständig auf das Buch.
Der Mann nimmt ihre Blicke wahr.
Auch er wird nervös.
Ich sehe beide genervt an, da ich es irgendwie ahne was passiert.
Ich nehme meine Kopfhörer aus den Ohren und sehe gespannt und genervt zugleich zu.
Genervt von dieser Welt,
Genervt von diesem Tag,
Genervt von dieser dreckigen U-Bahn,
Genervt von all den Menschen.
Aber gleichzeitig finde ich es lustig.
Der Mann sieht die Dame an und fragt:
„Alles ok?“
Die Dame:
„Jaja wollte nur schauen was Sie da lesen..“
Sie steht auf.
Stellt sich im gleichen Waggon ein wenig entfernt hin und sieht immer wieder rüber.
Er starrt mich verwundert an.
Ich schaue ihm in die Augen und zucke gelangweilt die Achseln.
Schließlich steigt er aus.
Die Dame kehrt zurück.
Ich sehe sie an und sage:
„Schauen Sie!
Wenn Sie Angst haben, dass sich wer in die Luft jagt, da müssen Sie schon zumindest den Waggon wechseln..“
Sie sieht mich genervt an.
Ich habe ein schlechtes Gewissen so hart zu ihr gewesen zu sein.
Andererseits denke ich mir:
„Whatever“
Wir steigen beide aus.
Ich denke mir vieles.
Einerseits fand ich es amüsant,
Andererseits war ich genervt,
Dann auch wieder traurig.
Denn genau das ist das Ziel des Terrors:
Angst
Panik
Hysterie…
Jetzt müssen einige Menschen ihr Buch verstecken weil es die „falsche“ Schrift beinhaltet?!
Menschen mit islamischer Kleidung werden rassistisch attackiert.
Geflüchtete entschuldigen und rechtfertigen sich grundlos, obwohl sie vor dem gleichen Terror fliehen.
Populistische Opportunisten ergreifen die Chance und hetzen um Stimmen zu gewinnen, nachhaltig jedoch haben sie keinerlei konstruktive Lösungen parat.
Gesetze werden umgangen und rechtes Gedankengut durch rechte Politik salonfähig gemacht.
Die politische Mitte sieht zu.
Die politischen Linken sind zu schwach.
Mal demonstrieren die Rechten.
Mal demonstrieren die Linken.
Das ganze Spiel geht weiter.
Und eines Tages,
Eines Tages, da sterben wir alle.
Und es ist plötzlich vorbei.
Plötzlich ist alles vorbei und dann?
Wie möchten wir leben?
Was wollen wir erreichen?
Ich für meinen Teil, denke immer häufiger an dieses absurde Spiel.
„Wenn es mein Schicksal ist, dann sterbe ich eben sobald es soweit ist“
Ist mein Motto.
Ich werde daher einfach leben.
Ich werde es zumindest versuchen.
Ich werde weiterhin in der U-Bahn Bücher in „arabischer“ Schrift bzw. auf Farsi lesen.
Ich werde weiterhin laute orientalische Musik hören, obwohl es mein Wiener Nachbar nicht mag.
Genauso werde ich laute Punk Musik in Teheran hören, obwohl es meine konservative iranische Familie nicht mag.
Ich werde weiterhin Wiener Schnitzel essen auch wenn es „haram“ ist.
Ich werde weiterhin nicht verheiratet sein auch wenn es meine iranische Familie väterlicher Seite gerne hätte.
Ich werde weiterhin Partner haben und diese auch wechseln falls erforderlich.
Ich werde weiterhin Freiheit für Palästina rufen und das bedeutet NICHT dass ich Antisemitin bin.
(Alle die es denken sollen nur! Kam absurder Weise schon Mal vor! Gerade aber ist mir alles egal..)
Ich werde weiterhin auf mein Herz hören.
Ich werde weiterhin meinem Gewissen folgen.
Ich werde immer für Frieden und Freiheit aufrufen.
Egal welche Nationalität oder Gruppierung es betrifft.
Ich werde einfach frei sein
Habt keine Angst.

 

Zur Person:
Anahita Tasharofi wurde in Teheran geboren, kam mit zwölf Jahren nach Österreich und hat im Jahr 2013 den Verein „Flucht nach vorne“ ins Leben gerufen, dessen Vorsitzende sie ist. „Flucht nach vorne“ wurde im Jahr 2015 mit dem Ute Bock Preis für Zivilcourage ausgezeichnet. Anahita Tasharofi lebt und arbeitet in Wien.

Der Verein:
Flucht nach vorn

 

 

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